Von Untertreibung und falscher Sicherheit bis zur Panik reichen die Reaktionen in Deutschland bezüglich des neuen Coronavirus gegenwärtig und das ICCMO versucht hier gerne, wie bei unseren Kernthemen auch, fundiert zu informieren. Wir sind im Gespräch mit dem Bundesgesundheitsministerium, dem Robert Koch Institut und den örtlichen Gesundheitsbehörden in Thüringen, wo unsere Jahrestagung 2020 stattfindet. Zusätzlich stützen wir uns auf die Informationen der WHO, der Centers for Disease Control (CDC), sowie die Auskünften des Virologen und Epidemiologen Prof. Alexander Kekulé, die er bei der Sendung mit Markus Lanz gegeben hat:
Meist wird bei diesem Thema betont, wie man sich selbst schützen kann und dabei geht eine gewisse soziale Komponente leicht verloren, denn wichtiger ist wahrscheinlich, wie wir zusammenhelfen können, um die Ausbreitung dieser neuen Infektion zu verlangsamen, indem wir vermeiden, das Virus an andere weiterzugeben, falls wir es in uns tragen sollten und nichts davon wissen. Das Problem dabei ist, dass momentan sowieso viele Menschen eine Erkältung haben und die ist zunächst kaum von einer COVID-19 Infektion zu unterscheiden.
Aber zuerst zu dem, was wir heute über den neuen Typen des Coronavirus wissen:
- Das Virus scheint vom Tier auf den Menschen auf einem Fischmarkt in Wuhan übergesprungen zu sein. Das würde bedeuten, dass eine Mutation es in die Lage versetzt hat, nun auch den Menschen als Wirt zu nutzen. Auf diesen neuen Wirt ist es laut Prof. Kekulé noch nicht optimal eingespielt. Insofern hinkt der Vergleich bezüglich der Sterblichkeitsrate mit der Grippe, die nur alten und immunschwachen Menschen gefährlich werden kann. Bei COVID-19 finden wir unter den Toten auch mehrfach ehemals gesunde, kräftige Menschen im mittleren Alter, darunter nicht zuletzt auch den „Entdecker“ selbst, den 34-jährigen Augenarzt Dr. Li Wenliang, der zu Anfang der Epidemie in China Mundverbot erhalten hatte.
- Der Hauptinfektionsweg ist die Tröpfcheninfektion, hierin sind sich alle Seiten einig. Aus solchen Tröpfchen setzt sich der Beschlag zusammen, wenn man einen Spiegel anhaucht, oder bei kaltem Wetter ausatmet, und so kann man sich auch deren „Reichweite“ einigermaßen vorstellen. Die wiederum ist um einiges größer, wenn man niest oder hustet (laut CDC bis zu etwa 6 Fuß=1,8 m), als wenn man spricht, oder nur atmet.
- Ein weiterer wichtiger Infektionsweg ist die Kontaktinfektion, z. B. über Viren an den Händen, die durch Berührung in den Mund, die Nase oder die Augen gelangen – daher die Empfehlung des häufigen Händewaschens.
- Die Abgabe erfolgt also über Tröpfchen, die mit Viren behaftet sind, die Aufnahme über das Einatmen dieser Tröpfchen oder über den Kontakt der Viren mit Schleimhäuten in Augen, Nase und Mund. Die Übertragung der Viren über Tiere, z. B. Hunde oder Nahrung spielt bei der Verbreitung offenbar keine nennenswerte Rolle.
- Unsicherheit besteht bezüglich der Verbreitung über Oberflächen. Laut Prof. Kekulé bleiben Coronaviren im Allgemeinen nur über Stunden bis wenige Tage aktiv. Sonnenlicht (UV) und Wasser deaktiviert sie relativ schnell. Die Übertragung durch Waren oder Lebensmittel aus China schließt er daher aus.
- Offenbar hat sich das Virus schon am 2.-3. Tag im Rachen genügend vermehrt, um auf Tröfchen abgegeben werden zu können. Danach setzt es sich dann in der Lunge fest. Daher steht nicht zu erwarten, dass komplett symptomfreie Menschen das Virus weitergeben, was jedoch schon der Fall bei Menschen sein kann, die meinen, gerade die ersten Anzeichen einer Erkältung zu verspüren meinen. Dazu gehört leichtes Fieber, Halskratzen, Husten, später dann auch Gliederschmerzen und schließlich Kurzatmigkeit.
- 80%-85% der Infektionen verlaufen harmlos. Nach diesen ersten Zeichen kann die Krankheit nach etwa 5 Tagen wieder abgeklungen sein. Wird die Lunge mehr involviert, so kommt es zum Husten und 15-20% werden krank, einige davon schwer. Die Krise entsteht, wenn es zur Lungenentzündung kommt und wird in erster Linie durch eine Überreaktion des Immunsystems ausgelöst. Dies führt in besonders schweren Fällen zum Anschwellen der Schleimhäute in der Lunge, bis der Sauerstoffaustausch kompromittiert wird und es zur Atemnot kommt. Selbst dann kann meist durch eine künstliche Beatmung geholfen werden, um diese 2-3 tägige Phase zu überbrücken, bis die Anschwellung wieder abgeklungen ist.
Die Inkubationszeit dauert 2-7 Tage, manchmal noc länger. Bis zu 5 Tagen nach der Genesung können Tests noch positiv ansprechen, jedoch sind dann die Viren nicht länger infektiös. Bei schweren Verläufen kommt es nach etwa einer Woche zur Verschlimmerung. - Das Immunsystem von Kindern reagiert meist noch weniger aggressiv, als das bei Erwachsenen. Hier dürfte der Grund dafür liegen, warum schwere Verläufe bei Kindern sehr selten sind. Jedoch können Kinder das Virus sehr effizient verbreiten und so speziell ältere Menschen, z. B. die Großeltern, gefährden.
- Prof. Drosten vom Institut für Virologie and der Charité wird fast täglich zur aktuellen Entwicklung vom NDR befragt und dieser Poscast dürfte momentan die solideste Informationsquelle darstellen. Er hat kürzlich seine Einschätzung geändert und meint nun, dass eine Abschwächung der Infektionswelle im Sommer vielleicht doch nicht zu erwarten steht, sodass wir keine Pause haben, um uns auf eine neue Welle im Herbst vorzubereiten. Stattdessen vermutet er den Höhepunkt der Infektionswelle nun für Juli oder August und bis dahin kontinuierlich ansteigende Fallzahlen, welche die die medizinische Versorgung an ihre Grenzen führen könnten. Besonders die Rentnergeneration sei hierbei gefährdet, mit Sterberaten, die u.U. weit über den Durchschnittswerten liegen.
Prof. Drosten geht davon aus, dass sich das neue Coronavirus fest etabliert hat. Da momentan noch so gut wie niemand gegen dieses neue Virus immun ist, kann man seine Verbreitung zunächst nur verlangsamen, aber nicht wirklich stoppen. Man geht davon aus, dass jeder Infizierte im Schnitt drei neue Menschen infiziert und dieser Trend kehrt sich erst dann um, wenn es mehr Menschen gibt, die bereits immun gegen dieses Virus geworden sind. Die Verbreitung klingt von alleine ab, wenn die Rate der Weitergabe unter 1:1 sinkt, was rechnerisch der Fall ist, nachdem sich etwa ⅔ der Menschen mit diesem Virus infiziert haben, also etwa 70% der Bevölkerung.
Aus den chinesischen Zahlen ging ursprünglich eine Sterblichkeitsrate von 2-3% hervor, jedoch war man sich bei einer Tagung in Genf kürzlich einig, dass dabei eine große Dunkelziffer an leichten Erkrankungen, die nicht gemeldet worden waren, nicht berücksichtigt worden war und man geht inzwischen eher von einer Größenordnung von 0,5% aus, die ähnlich läge, wie bei der Grippe. Jedoch wurde erstaunlicherweise bisher nirgendwo berichtet, dass wir die Grippe mit wirksamen Medikamenten behandeln und somit auch die Sterblichkeitsrate beeinflussen können, für COVID-19 jedoch nichts in dieser Art zur Verfügung haben. - Das Robert Koch Institut veröffentlicht zweimal am Tag die aktuellen Zahlen für bestätigte COVID-19 Fälle in den deutschen Bundesländern und weltweit unter der URL https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Fallzahlen.html.
An der Johns Hopkins Universität wurde ebenfalls ein Fallzähler für die weltweite Verbreitung entwickelt, hier mit Kartenansicht: https://www.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/bda7594740fd40299423467b48e9ecf6. Am 6.3.2020 divergierten beide Zähler erstmals signifikant, mit 400 bestätigten Fällen in Deutschland gemeldet vom RKI und 545 von der Johns Hopkins University. - Nach allem was wir wissen, hinterlässt eine COVID-19 Infektion nach der Abheilung eine anhaltende Immunität. Berichte aus Japan bezüglich doppelter COVID-19 Infektion betreffen vermutlich eher nicht komplett ausgeheilte Erkrankungen.
Vor diesem Hintergrund ergeben sich folgende Vorsichtsmaßnahmen:
Passiver Schutz – Vermeidung der Aufnahme des Virus:
- Die Nähe von Menschen, die husten oder niesen bzw. sonstige Erkältungszeichen aufweisen, prinzipiell meiden! Gedränge z. B. in öffentlichen Verkehrsmittel nach Möglichkeit meiden.
- Für die nächste Zeit auf Händeschütteln verzichten.
- Nicht mit den Fingern in Mund, Nase oder Augen fassen, zumindest nicht, ohne sich vorher die Hände sorgfältig gewaschen zu haben. Bewusst auf derartige Gewohnheiten achten (typischerweise erfolgen solche Kontakte über 250x pro Tag)!
- Prinzipiell vor jedem Essen die Hände sorgfältig waschen, am besten auch als Erstes, wenn man nach Hause kommt.
- Eine Brille und eine Atemmaske kann vor der unmittelbaren Tröpfcheninfektion schützen, aber nicht, wenn sie durchfeuchtet ist. Die Berührung ihrer Außenseite mit den Fingern kann zur Schmierinfektion führen.
Aktiver Schutz – Vermeidung der Weitergabe des Virus:
- Momentan ist es sicherer, alle Erkältungszeichen als mögliche COVID-19 Infektion zu betrachten und sie nicht als belanglos abzutun. Stellt man solche Zeichen an sich fest, so sollte man zuhause zu bleiben, Nähe zu anderen Menschen vermeiden, sich von diesen entfernen, wenn man niesen oder husten muss, sich dann nicht in die Hand, sondern in die Ellenbeuge husten, die Hände waschen, wenn man sich schnäuzen muss und das Taschentuch nach Möglichkeit gleich entsorgen. Man sollte andere Menschen auch nicht aus kurzer Distanz ansprechen und sich die Hände waschen, bevor man etwas berührt, was andere nach einem berühren (z. B. Buffet-Löffel in der Kantine). Auch sollte man auf das gewohnte Händeschütteln lieber verzichten! Momentan ist es wirklich kein Zeichen der Stärke, sondern eines der Verantwortungslosigkeit, wenn man trotz Husten, Niesschnupfen oder erhöhter Körpertemperatur zur Arbeit, auf Feiern oder sonstige Zusammenkünfte geht!
Was bedeutet das für unsere ICCMO-Jahrestagung in Erfurt?
Das neue Coronavirus dürfte sich in Deutschland etabliert haben und Träger infizieren sich nicht länger nur an Chinareisenden. Dennoch wird das Infektionsrisiko als mäßig eingestuft, da sich das Virus noch nicht sehr weit unter der Bevölkerung in Deutschland verbreitet hat. Die Strategie der Behörden besteht momentan noch darin, die Ausbreitung des Virus zu hemmen, indem man Kontaktpersonen mit Infizierten identifiziert und sie zur 14-tägigen häuslichen Quarantäne verpflichtet. Auch wenn internationale Großveranstaltungen wie die Leipziger Buchmesse inzwischen abgesagt wurden, ist unsere Tagung daher von solchen Überlegungen nicht betroffen und findet statt. Jedoch können Sie durch ein paar einfache Vorsichtsmaßnahmen dazu beitragen, unsere Tagung für andere und damit auch für sich selbst noch sicherer zu machen. Diese Maßnahme sind auch nicht nur für COVID-19 und unsere ICCMO-Tagung in Erfurt sinnvoll, sondern für jede Zusammenkunft, die in eine Grippezeit fällt:
- Sehen Sie vom Besuch unserer Tagung ab, wenn Sie an sich Zeichen einer Erkältung bemerken!
- Sollten Sie im Lauf der Tagung Husten, Niesschnupfen, Hals- oder Gliederschmerzen entwickeln, so brechen Sie Ihren Tagungsbesuch bitte ab, kehren nach Hause zurück und warten die weitere Entwicklung der Symptome dort ab. Wahrscheinlich ist es dann wirklich nur ein Schnupfen oder eine Grippe, aber wenn alle so handeln, können wir gemeinsam die Ausbreitung des neuen Coronavirus in Deutschland effizient hemmen!
- Verzichten Sie lieber auf den gewohnten Handschlag zur Begrüßung auf unserer Tagung!
- Bitte waschen Sie sich die Hände bevor Sie das Mittagsbuffet im Tagungshotel besuchen! Die Benutzung von Händedesinfektion ist laut Robert Koch Institut nicht erforderlich, da Wasser und Seife gehüllte Viren wie dieses in ausreichendem Maß unschädlich macht.
- Halten Sie in den Pausen einen etwas größeren Gesprächsabstand zu Ihren Kollegen als bisher vielleicht gewohnt!
- Gerade beim Zuhören ist man oft abgelenkt, vermeiden Sie jedoch bewusst in der nächsten Zeit gewohnheitsmäßige Berührungen Ihres Gesichts mit den Händen!
Gegen Ende unserer Tagung in Erfurt hatten die bestätigten Fälle allein im Landkreis Heinsberg bereits die Zahl der gesamtdeutschen Fälle zu Beginn unserer Tagung erreicht und heute, eine Woche nach unserer Ankunft in Erfurt wurden in Deutschland über 2000 Fälle gemeldet!
Rainer Schöttl, D.D.S.(USA)